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Über Mathias

Pressespiegel

26.02.2005 00:07:41
Aus dem Tresor der Musikirrtümer
Der Standard (Print-Ausgabe, 26./27.2.2005)
Deutschsprachige Erstaufführung des Musicals "Romeo & Julia" am Raimund Theater
Die erste Produktion unter der Verantwortung von Intendantin Kathrin Zechner ist die professionelle Umsetzung eines Werkes, das einem Rausch des Trivialen verfällt.
Wien – Eigentlich genügt es vollauf, dieses Werklein (Romeo & Julia) mit einem Werk (West Side Story) zu vergleichen, das sich auch auf das Original bezieht – und schon weicht das Entsetzen der Einsicht: Das Musicalgenre an sich ist in seinen besten Augenblicken jeder Oper ebenbürtig – man muss als Konsument nicht immer sein Gehirn an der Garderobe abgeben.
Es ist nur leider so, dass sich die vorhandene Qualität selten an die Vereinigten Bühnen Wien verirrt, und – das lässt sich nach diesem zweifellos umjubelten Abend im Raimund Theater sagen – es wird diesbezüglich nun für bedauerliche Kontinuität gesorgt: Neo-Intendantin Kathrin Zechner hat bei ihrem Einstand das Wunder zuwege gebracht, zu beweisen, dass es möglich ist, jene vom Vorgänger Rudi Klausnitzer mit Barbarella begonnene geschmacksverwirrte Talfahrt in Teilen auch noch fortzusetzen. Womit ein bis Juli laufendes Argument geschaffen wurde, warum man auf den Ronacher-Umbau getrost verzichten könnte.
Womöglich aber ist alles Teil eines genialen Plans. Eines Ausstiegsszenarios, welches damit rechnet, dass jene durch die Theaterreform gebeutelte freie Szene durch das parallel ablaufende, verhöhnende Prassen im Musicalbereich endgültig in den Wahnsinn getrieben wird. Und nach dem Besuch von Romeo & Julia in einem militanten Diskussionsbeitrag das Ronacher einfach in die Luft sprengt.
Der Gewinn für die Stadt Wien wäre ein mehrfacher: Ohne Gesichtsverlust könnten die Stadtchefs verkünden, es gäbe nun nichts mehr umzubauen. Und Theaterterroristen müsste man natürlich auch nicht fördern.
Aber zurück zur Kontinuität – sie vermittelt sich auch in der Musik von Gerard Presgurvic: Er hat die Sequenztechnik eines Andrew Lloyd Webber, der in Wien seine Katzenspuren hinterlassen hat, studiert. Was bedeutet: Wenn einem nichts einfällt, verschiebt man eben eine Phrase zehnmal auf andere harmonische Stufen. Auch so vergeht die Musikzeit. Der Erfinder von Romeo & Julia hat aber auch Elisabeth intus, allerdings wollte er nicht das Beste aus diesem Monarchical weiterdenken. Vielmehr klingt alles wie eine dutzendfache Garantie für die Schlussplätze beim Songcontest, während Elisabeth-Schlager immerhin um eine mittlere Platzierung buhlen.
Tresor der Irrtümer
Bunt ist das schon: da ein orientalisches Farblein, dort ein Rachmaninow-Übergang. Da stampfige Popbolzerei, dort gitarrenversüßte Balladen, Balladen und noch mehr Balladen. Aber: So viel Töne ohne Musik waren schon lange nicht. Und so elegant an allem Interessanten vorbeikomponiert hat auch schon lange keiner. Als hätte er den Tresor der Musikirrtümer von Dieter Bohlen und Julio Iglesias geplündert, wo Material aufbewahrt wird, welches es nie auch auf die B-Seite einer Single geschafft hat.
Es ist schwer zu sagen, ob die Klassikrock-Arrangements von Christian Kolonovits dem Ganzen den Rest gegeben haben, oder, ob der Musikmann für alle Fälle in den Sog des Trivialen geraten ist. Klar ist: Zum Gesamtkunstwerk des Zeit raubenden Schwulsts wird das Werklein durch die Texte, die auf Deutsch das Niveau der Musik kongenial ergänzen und die Gefühlsarbeit der an sich zumeist guten Menschen auf der Bühne der Lächerlichkeit preisgeben.
Dynamische Grazie
Dabei hat alles fetzig begonnen: Eine ausgeklügelte Choreografie, die auf die Figuren individuell eingeht und nichts dem Zufall überlässt, begrüßt mit hohem Niveau. Zwischen den vier Drehtürmen raufen die Capulets und die Montagues (Regie und Choreografie: Redha Benteifour) mit dynamischer Grazie, zerren an ihren stilisierten epochenverschmelzenden Kostümen (Dominique Borg).
Zu dem Zeitpunkt allerdings weiß man nicht, dass der Keilerei kaum eine Ende beschieden sein wird. Na gut, sie mögen einander nicht. Aber ein paar Pausen hätten sie schon vertragen. Letztlich ein Choreografieexzess, der mit Fortdauer des Abends nervt. Das tadellose Liebespaar – Marjan Shaki und Lukas Perman – ist da etwas verloren und wirkt ein bisschen als Fremdkörper. Aber man ist dankbar für jeden kleinen intimen Theatermoment, da er garantiert, dass nicht schon wieder Dachteln verteilt werden.
Unversehrt bleiben die solide Carin Filipcic (als Amme), Anette Wimmer (als Lady Capulet), Zuzanna Maurery (als Lady Montague), Charlie Serrano (als Pater Lorenzo) und Boris Pfeifer (als Fürst). Sehr gute Kondition beweisen Mark Seibert (als Tybalt etwas zu sehr in Richtung Dolph Lundgren in Rocky IV unterwegs), Matthias Edenborn (als Benvolio) und Rasmus Borkowski (als Mercutio). Sie alle verdienen außerdem eine Schwulstzulage.
Das Orchester unter Caspar Richter schließlich gibt dem Stück Profiunterstützung, macht viel soliden Lärm um jenes Nichts, das in den Noten steht. Das war's. Es bleibt jetzt nur noch, die Theaterszene zu bitten, cool zu bleiben. Gewalt ist kein Ausweg!
Von Ljubisa Tosic