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Pressespiegel

26.02.2005 20:23:03
Sommernacht im "Bravo"-Land
Wiener Zeitung
Sommernacht im "Bravo"-Land
Eine verbotene Liebe inmitten virtuoser Tänze, hinreißender Musical-Melodien - und einer tödlichen Gefahr, die zuletzt noch den hartgesottensten Realo in eine Heulsuse verwandelt: Wahrlich, Leonard Bernsteins "West Side Story" ist und bleibt genial - was einem nach der Wien-Premiere von Gerard Presgurvics Musical "Romeo & Julia" einmal mehr bewusst wurde.

Die größte Liebesgeschichte aller Zeiten" - ja, dieser branchenübliche Superlativ prangt derzeit nicht ganz zu Unrecht am Wiener Raimundtheater: Seit Jahrhunderten schmachten Romeo und Julia durch die Weltliteratur, beflügelten bald Kapazunder wie William Shakespeare, durften sich bald auch musikalisch mannigfach entleiben.


Lamento der Wilden: "Die Tyrannei bricht uns entzwei."
Und letzteres, das können sie nun auch im Namen der Vereinigten Bühnen Wien. Man staune: Nicht nur eine Neuproduktion, eine deutschsprachige Erstaufführung stand am Donnerstag mit Gerards Presgurvics Musical an, das in Frankreich seit 2001 eine Million Besucher verbuchte. Nicht zuletzt eine pekuniäre Verheißung: gilt es doch, dem hiesigen "Barbarella"-Bauchfleck Gewinnträchtiges folgen zu lassen.

Altes, kaltes Drama

Imposant sieht es jedenfalls mitunter aus, was Duncan Hayler da auf der Bühne geparkt hat. Funkelnde Türmchen offenbaren stets neues Innenleben, werden von artistischen Raufbolden umtanzt, die Choreograf und Regisseur Redha nimmermüd zanken lässt. Tschack! dröhnt's aus den Boxen, wenn die Sixpackbepackte Meute schlaglichtartig in Szene gesetzt wird. Ja, das hat Testosteron, das hat Schmackes - aber eben doch ein Problemchen: Die Geschichte von Romeo und Julia, sie lässt einen hier kalt wie die Betriebsanleitung eines Handstaubsaugers.

"Fremde Magie ergreift mich wie noch nie", sagt er, und muss sich den Kuss gar
nicht erst rauben: "Romeo" Lukas Perman mit Marjan Shaki als Julia.
Eine Malaise, die mit dem Text beginnt. Das Rezept: Man nehme zwei Esslöffel Shakespeare, gieße reichlich Phrasenhülsen und Binsenweisheiten dazu und verquirle alles zu leicht verdaulichen Reimen. "Fühlst du auch wie ich, so wahr, sag ja(r?)", bemüht Julia dann beim Tanz waschechte Pumuckl-Poesie statt Pilger-Metaphern, während sie eine quastige Horde von Renaissance-Michelin-Männchen (Kostüme: Dominique Borg) umschleicht.

Traumboy als Erlöser
Doch nicht nur der sprachlichen Brillianz, auch des erotischen Ungestüms geht Shakespeare verlustig - und das offenbar, um ein zielgruppenorientiertes Produkt zu liefern: einen verklärt-verzärtelten Sommernachtstraums für die "Bravo Girl"-Klientel. Im Zentrum steht hier schließlich eine Art von Traumboy-Messias: Da dämmert's Romeo von ganz allein, dass seine unbotmäßige Liebe leidige Fehden beenden könnte, ohne dass ihm's ein Mönch flüstert. Aber gesäuselt wird dafür ja andernorts genug: Schon anfangs etwas, wenn Starmania-Romeo Lukas Perman, im hautengen Trikot durchaus Teenieschwarm-tauglich, den blonden Wuschelkopf träumerisch neigt, um mit dem piepsigen Stimmchen von Marjan Shaki zarte Bande zu knüpfen. Charaktermimen, das sind sie wohl beide nicht, aber zumindest passable Badewannensänger. Allein: Für die Musik eines Gerard Presgurvic reicht das oft nicht.
Schließlich ist dem das zwiespältige Talent zu eigen, die Sängerschaft mit kühnen Modulationen zu strapazieren, während er doch den Eindruck poppiger Laufmeter wahrt - so mustergültig, dass sich nur wenig im Ohr verfängt. Dass man allerdings just in der Balkonszene an einen gewaltigen Fahrstuhl denkt, ist Arrangeur Christian Kolonovits zu verdanken. Er zeichnet für jenes Synthie-Gesülze und Gitarren-Geplänkel verantwortlich, das das Orchester der Vereinigten Bühnen Wien mit selbstverleugnender Präzision gibt: Meist meint man, dass nur ein Tonband vor sich hinsurrt.
Aber einige Solisten versprühen doch Vitalität: Matthias Edenborn und Rasmus Borkowski etwa, zwei vokal engagierte Montagues, die dem souligen Tybalt Mark Seibert gegenüberstehen; mit ausdruckstarkem Volumen sorgen daneben Carin Filipcic als Amme und "Pater" Charlie Serrano für Zwischenapplaus. Unter euphorischem Schalldruck verabschiedet sich zuletzt das gesamte Team - bleibt zu hoffen, dass die Kassen ebenso schellen.

Text: Christoph Irrgeher, Fotos: APA